Warum eigentlich hat sich die BKW vom klassischen Stromkonzern verabschiedet und sich zum Energie- und Infrastrukturunternehmen entwickelt?
Ronald Trächsel: Als klassischer Energiekonzern ist man vom Strompreis abhängig, der bekanntlich hohen Schwankungen unterworfen ist. Das führt zu grossen Unsicherheiten, was langfristige Investitionen anbelangt. Und Energieinvestitionen sind immer langfristig. Wir reden von einem Zeithorizont von 40 bis 60 Jahren. Als Unternehmen kann man die Risiken kaum tragen, wenn man nur auf eine Sache ausgerichtet ist.
Das Klumpenrisiko zu mindern war also der Antrieb für eine neue Ausrichtung hin zur Diversifizierung?
Ganz genau, wir wollten unsere Risiken besser verteilen und dabei energienah bleiben. So haben wir Wachstumsmärkte gesucht, die uns nicht in Abhängigkeit vom Strompreis bringen und dabei die ganze Wertschöpfungskette Energie abdecken.
Die Strategie scheint aufzugehen, denn die BKW wirkt selbst in diesen unsicheren Zeiten entspannt und spricht sich im Gegensatz zu anderen Stromkonzernen gegen den Rettungsschirm des Bundesrats aus.
Absolut, die BKW ist finanziell sehr solide aufgestellt und geht nur Risiken ein, die sie auch unter Stress aus eigener Kraft stemmen kann. Wir sehen nicht ein, warum wir unter diesen Rettungsschirm gezwungen werden und pro Jahr Bereitstellungsgebühren in Millionenhöhe zahlen sollten für etwas, das wir weder wollen noch benötigen.
Wird die neue Ausrichtung der BKW positiv wahrgenommen oder stossen Sie damit auf Kritik?
Am Anfang hiess es, jetzt dringt die BKW als grosser Player in den Dienstleistungsbereich. Dies führte zu Widerstand. Doch mittlerweile hat man erkannt, dass eine Transformation des Energiesystems nur dann gelingt, wenn man sich auch um den Energieverbrauch kümmert. Als Stromkonzern ist man dafür geradezu prädestiniert.
Wohin führt der Weg in Zukunft?
Während unsere Strategie zu Beginn vor allem durch Sicherheitsdenken geprägt war, sind es heute Wachstumsüberlegungen, die unsere Strategie bestimmen. Betrachtet man die ganze Wertschöpfungskette, so gibt es neben der Energieproduktion die Verteilung der Energie und schliesslich den Energieverbrauch. Wir fokussieren uns immer mehr auch auf den Verbrauch und fragen uns, wie sich dieser steuern und wie sich die Effizienz steigern lässt. Diesen interessanten Wachstumsmarkt zu bespielen, darin sehen wir unsere Zukunft.
Was sind die Trends im Bereich der Energie?
Die grossen Themen sind Dekarbonisierung und Urbanisierung. Um von den fossilen Energien wegzukommen, werden wir immer mehr Strom benötigen. Wenn wir uns dabei nur um die Produktion des Stroms kümmern, wird die Transformation kaum gelingen. Wir werden uns zwingend auch um den Stromverbrauch kümmern müssen.
Die Konsumenten müssen also zu mehr Verzicht erzogen werden?
Nein, Verzicht alleine funktioniert nicht. Langfristig werden wir keine nachhaltige Lösung finden, die auf Verzicht und Einschränkung basiert. Wir sagen den Menschen nicht, heizt weniger, braucht weniger Licht, sondern wir stellen die Frage, wie zum Beispiel die Heizung und die Verbrauchssteuerung im Haus intelligenter gemacht werden können, damit sie weniger Strom verbrauchen. Nachhaltige Lösungen lassen sich nur dann finden, wenn auf intelligente und fortschrittliche Technologien gesetzt wird.
Möchten Sie damit sagen, dass der einzelne Konsument ohnehin nicht viel bewirken kann?
Es ergibt keinen Sinn und wird nicht ausreichen, wenn alle nur für sich schauen. Die Lösungsansätze müssen gemeinsam gefunden und umgesetzt werden. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass jeder Einzelne sich der Thematik bewusst ist und sich in Achtsamkeit übt.
Was kann ein Stromkonzern wie die BKW dazu beitragen?
Wir sehen unsere Aufgabe darin, mit unseren Dienstleistungen Wege aufzuzeigen, um zum Beispiel die Energiesteuerung oder die Gebäudeautomatik intelligenter zu gestalten. Ein wichtiger Faktor ist die Form eines Gebäudes. Rund vierzig Prozent der möglichen Effizienzverbesserungen werden durch die Form und Hülle des Gebäudes definiert. Daher haben wir uns in letzter Zeit verstärkt auf die Generalplanung, aufs Engineering und auf die Architektur fokussiert.
Wie sieht der öffentliche Lebensraum in Zukunft aus?
Wir werden sowohl öffentlichen als auch privaten Raum schaffen müssen, der ein vernetztes Leben zulässt. Ich sehe die Zukunft im Sharing. Nicht nur in der Mobilität, sondern auch im Wohnen, indem zum Beispiel bei neuen Überbauungen gemeinschaftlich nutzbare Räume entstehen. Aber auch gemeinsame Heiz- oder Energiegewinnungssysteme. Auch werden immer mehr Bereiche digitalisiert, was wiederum Vernetzungsmöglichkeiten erlaubt. Dafür müssen die notwendigen Infrastrukturen geschaffen werden.
Können Sie ein konkretes Beispiel für eine gemeinschaftliche Lösung nennen?
Die Wasserleitungen in der Schweiz sind relativ alt und verursachen hohe Wasserverluste. Gibt es einen Wasserschaden, entstehen bei der Reparatur hohe Kosten, weil die ganze Strasse aufgespitzt werden muss, um das Leck zu finden. Wir bieten Steuerungssysteme mit intelligenten Hydranten, die mit Hilfe von Schall, Wärmentwicklung und Erschütterungssensoren herausfinden, wo genau der Schaden entstanden ist. So kann die Intervention am richtigen Ort erfolgen, und die Gemeinde spart viel Geld.
Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich?
Die Schweiz ist gut unterwegs, ein ganzheitliches Denken ist durchaus vorhanden.
Elektroautos haben Zukunft. Wer aber keinen eigenen Parkplatz besitzt und auf die Blaue Zone angewiesen ist, hat keine Möglichkeit, sein Auto aufzuladen. Wäre es nicht angebracht, öffentliche Parkplätze mit Ladestationen auszustatten, so wie es beispielsweise in London bereits der Fall ist?
Die Technik wäre jedenfalls so weit. Das Problem sind die Kosten. Um eine Strassenlaterne auf Starkstrom umzurüsten, damit sie auch als Ladestation eingesetzt werden kann, ist mit enormen Kosten verbunden.
Sind denn auch die hohen Kosten der Grund, dass es in der Schweiz so wenig Windparks gibt?
Windparks sind heute in der Schweiz praktisch nicht realisierbar. Die Bewilligungsverfahren dauern viel zu lange, und weil sich die Technologie ständig weiterentwickelt, muss das Bewilligungsprozedere stets wieder von Neuem aufgerollt werden. Man kommt nicht vom Fleck. Zwar ist man sich am runden Tisch oft einig, dass dies geändert werden muss. Sobald dieser aber verlassen wird, verfolgen die Interessensverbände wieder ihre Partialinteressen.
Investiert die BKW denn überhaupt noch in Windenergie?
Ja, aber zum Beispiel in Frankreich, wo im Normalfall innert fünf Jahren ein Windpark bewilligt ist, während in der Schweiz 20 Jahre darüber debattiert wird. Wenn man will, dass in der Schweiz in Windenergie und andere erneuerbare Technologie investiert wird, um die Abhängigkeit vom Ausland zu reduzieren und den CO2-Ausstoss zu verringern, wird man die entsprechenden Rahmenbedingungen dazu schaffen und bereit sein müssen, mit den Konsequenzen zu leben. Dazu müssen aber zuerst zwei oder drei Grundsatzfragen beantwortet werden.
Die da wären?
Wie autark wollen wir in der Schweiz in Sachen Energie überhaupt sein? Wann wollen wir diese Ziele erreichen und wie verträgt sich das mit unseren CO2-Zielen?
Ist der Föderalismus Fluch oder Segen?
Sowohl als auch: Es ist wichtig, dass alle die gleichen Ziele haben und am selben Strick ziehen – auf nationaler wie internationaler Ebene. Aber die Umsetzung sollte so dezentral wie möglich erfolgen. Dezentral entscheidet man situativ besser und in der Regel auch schneller. Hier ist der Föderalismus von Vorteil.
Was ärgert Sie?
Der Regulierungsdruck nimmt wegen des Preisdrucks zu. Das bremst die Nachhaltigkeitsentwicklung eher, als dass sie sie fördert. Das macht mir Sorgen. Ich finde es falsch, dass man versucht, Probleme mit noch mehr Regulierung anzugehen. Regulierung ist nicht die Lösung. Man muss probieren, innerhalb der Rahmenbedingungen möglichst viel Markt zuzulassen. Der Markt sollte frei spielen. Wir werden im Moment durch Regulierungsvorschriften im unternehmerischen Vorwärtskommen gebremst.
Macht Energieministerin Simonetta Sommaruga einen guten Job?
Es ist eine Art neuer Realitätssinn eingekehrt, was sicher auch Frau Sommaruga zu verdanken ist. Früher hat man darüber gestritten, ob es ein Problem mit der Energieversorgung gibt. Heute ist man sich immerhin einig, dass wir ein Problem haben. So wird der Stromverbrauch einerseits weltweit zunehmen, und zwar viel stärker und schneller, als angenommen. Andererseits wird immer mehr planbare Energieproduktion aus dem System herausgenommen. Wir sind einfach nicht schnell genug mit dem Nachbauen von erneuerbarer Energiegewinnung. In einer Studie zeigte die eidgenössische Elektrizitätskommission auf, dass wir schon im Jahr 2025 Probleme bekommen könnten, unter anderem auch wegen des fehlenden Stromabkommens mit der EU.
Ein Interview der NZZ mit CFO Ronald Trächsel.
Publiziert am 11. Juni 2022